Startup Stories

May 5, 2023

5.5.2023

Wie kam Ihnen die Idee zu Myscribe?

Ira: Als ich vor 2 Jahren meinen Beruf als Ärztin begann, musste ich feststellen, dass die Dokumentation im Krankenhaus in erster Linie noch handschriftlich verläuft und ich insgesamt viel mehr Zeit auf Papierarbeit, als auf meine eigentliche ärztliche Tätigkeit verwende. Ich habe im Durchschnitt 6 Stunden am Tag nur mit Schreibarbeit verbracht. Mir war neben diesem für Ärzt*innen extrem zeitaufwändigen System zur Dokumentation, wie es in Deutschland betrieben wird, aber auch sein US amerikanisches Gegenstück bekannt, das ich in meiner Praktikumszeit in einem Krankenhaus der Harvard University in Boston kennenlernte. Dort wird zeitraubende Schreibarbeit üblicherweise von sogenannten „Scribes“ erledigt, bei denen es sich oft um selbst angehende Mediziner*innen handelt. All das ist in Deutschland nur schwer vorstellbar, denn das Gehalt der „Scribes“ wird von den Mediziner*innen selbst finanziert, was das Konzept natürlich nur durch ihr insgesamt höheres Gehalt im Vergleich zu deutschen Ärzt*innen umsetzbar macht. Daher überlegten wir uns, wie wir die Funktion der Scribes in digitaler Form umsetzen könnten.

Wie haben Sie Ihre Idee in die Tat umgesetzt?

Lars: Ich konnte in meiner damaligen Anstellung als Softwareentwickler bereits eine Menge Erfahrung im Bereich moderner Technologien sammeln. Umso größer war der Schock, als ich erfuhr mit welchen veralteten Methoden in deutschen Krankenhäusern noch tagtäglich gearbeitet wird. Daher begann ich bald einen Prototyp unserer App zu entwickeln und ich konnte miterleben wie unser Produkt Tag für Tag immer ausgereifter wurde. Aufgrund des Potentials, das wir in unserer eigenen Idee erkannt hatten, fassten wir den Entschluss das EXIST-Gründerstipendium zu beantragen und einen ersten Schritt in Richtung Selbstständigkeit zu setzen. Als wir das Stipendium dann tatsächlich erhalten haben war für uns beide klar, dass wir Myscribe zu einem Namen machen wollen.

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach stellt unter Anderem mit der Ankündigung einer elektronischen Patientenakte immer wieder die Digitalisierung deutscher Krankenhäuser in den Vordergrund. Auch auf politischer Ebene scheint euer Produkt also Unterstützung zu erhalten. Doch wie kann es sein, dass bei einem Thema mit einer solchen Medienpräsenz noch niemand die Idee für eine Software wie Ihre hatte?

Lars: Zum einen gab es seitens der Krankenhäuser bisher nicht wirklich das Bedürfnis etwas am Umstand der Dokumentation zu ändern, zum Anderen sind die dort eingesetzten Systeme in aller Regel derart veraltet, dass es eine große Herausforderung ist auf ihnen aufzubauen. Das hat aktuell zur Folge, dass diverse Softwarehersteller ihre aktuell noch eingesetzten Produkte bei Krankenhäusern abkündigen. Vor 30 Jahren war das Interesse der großen Softwarehersteller für das Gesundheitswesen und einen Wandel dessen noch riesig, doch dabei ist es dann auch geblieben. Seither wirkt es als sei jegliche Entwicklung der Krankenhäuser in eine moderne, digitale Richtung stehengeblieben. Genau dort sehen wir unsere Chance den Grundgedanken des damaligen Zeitgeistes fortzuführen und Ärzt*innen in Deutschland einen großen Teil des für Schreibarbeit betriebenen Aufwands zu ersparen.

Können Sie anhand erster Tests Ihres Produkts auch konkrete Zahlen bezüglich seiner Zeitersparnis nennen?

Ira: In unseren bisherigen Tests kamen wir auf eine Zeitersparnis von über 70%. Würde Myscribe bereits aktiv in Krankenhäusern eingesetzt, könnten Ärzt*innen ihre frei gewordene Zeit für die Behandlung ihrer Patienten verwenden und dennoch insgesamt weniger Überstunden leisten. Damit hätte unser Produkt neben seiner großen ökonomischen Entlastung für Krankenhäuser natürlich auch eine enorme Entlastung für überlastete Mediziner*innen zufolge. Ein weiterer Vorteil unserer voll-digitalen Dokumentationsart liegt in ihrer Lückenlosigkeit und Strukturiertheit, wie sie handschriftlich nur schwer zu erreichen ist. Darüber hinaus käme es durch unsere Software nicht länger zu einer doppelten Erfassung der Patientendaten in jeweils handschriftlicher und abgetippter Form und steigert durch seine verschiedenen, zusammenspielenden Prozessoptimierungen die Effizienz der Krankenhausarbeit.

Der Datenschutz ist mit Sicherheit eine der größten Hürden für den Fortschritt der Digitalisierung in Deutschland. Ist Ihr Programm damit vereinbar?

Ira: Gerade im Bereich der Arbeit mit sensiblen Patientendaten, in dem unser Produkt angesiedelt ist, muss selbstverständlich besonderer Wert auf Datenschutzkonformität gelegt werden. Man könnte unsere Lösung für diese Herausforderung schon fast als einmalig bezeichnen, da wir, als Hersteller dieser Software, keinerlei Daten selbst speichern. Wir benötigen für die Verwendung unseres Produkts lediglich die Infrastruktur des jeweiligen Krankenhauses und generieren aus ihr heraus neue Daten, welche allerdings einzig und allein im System des Krankenhauses gespeichert bleiben. Alle Arbeitsschritte unserer Software verlaufen nur über das bestehende Krankenhaus-Informations-System, weshalb Myscribe sozusagen als „Add-On“ fungiert und auch gänzlich ohne Cloud basierte Funktionen auskommt. All das gilt natürlich ebenfalls für die künstliche Intelligenz die in unserem Programm zum Einsatz kommt.

Es sieht ganz so aus, als stünde einer erfolgreichen Firmengeschichte nichts mehr im Weg. Nichts, bis auf eines natürlich: Wo nehmen Sie, ohne Ihre Software bereits an den Markt gebracht zu haben, Ihr Firmenkaptial her?

Ira: Aktuell sind wir über das bereits genannte EXIST-Gründungsstipendium gesichert, wodurch unser Gehalt als Firmengründer abgedeckt wird. Außerdem hatten wir Ende letzten Jahres die Ehre, den mit 10.000 Euro dotierten Mannheimer Mexi-Preis für junge Gründer*innen zu gewinnen, wodurch es uns ermöglicht wurde eine GMBH zu gründen. Doch mit Sicherheit unsere größte bisherige finanzielle Stütze ist unsere Finanzierung durch das Programm Preseed-BW zusammen mit dem Gründungszentrum InnoWerft, welche ein Investment von 200.000 Euro umfasst. Mit diesem Kapital erhalten wir die Möglichkeit den Aufbau unserer Firma erheblich voranzubringen und eine Sicherheit für unsere zukünftigen Kunden zu bieten. Man könnte sagen, das Kapital stellt eine Art „Runway“ dar, bis wir uns durch unsere ersten Kunden letzendlich selbst finanzieren können. Um Testerfahrungen seitens der kommenden Nutzer unseres Produkts, den Ärzt*innen deutscher Krankenhäuser, zu erhalten, arbeiten wir zudem eng mit dem Usability Lab des Universitätsklinikums Mannheim zusammen. Daraus erhoffen wir uns die notwendige Gewissheit unser Produkt für marktreif erklären zu können. Ein großer Vorteil unserer Zusammenarbeit mit dem Usability Lab ergibt sich zudem aus der räumlichen Nähe unserer Büroräumlichkeiten zum Uniklinikum Mannheim.

Wird Ihre Software auf den deutschen Markt beschränkt bleiben oder möchten Sie sie in Zukunft sogar global vertreiben?

Ira: Wir stehen in stetigem Kontakt mit dem National Institute for Health Research in Großbritannien, mit welchem wir gemeinsam auf der Suche nach Krankenhäusern für Tests im Ausland sind, denn auch in britischen Krankenhäusern geht der Prozess der Dokumentation noch immer hauptsächlich handschriftlich von statten. Diese Situation findet sich noch erstaunlich häufig in ganz Europa wieder, weshalb auch ein europaweiter Einsatz unseres Produktes vorstellbar wäre. Dies konnten wir aus erster Hand von Betroffenen auf der MedTech World 2022 in Malta erfahren, die uns von den Zuständen in den Krankenhäusern ihres jeweiligen Heimatlandes berichteten. Es zeigt sich also, dass die „Digitalwüste Deutschland“ im Bereich Medizintechnologie keine Ausnahme darstellt.

Was sind Ihre Pläne für die nähere Zukunft?

Ira: Wir sind aktuell auf der Suche nach weiteren Software Developern, insbesondere um die künstliche Intelligenz, mit der unser Programm arbeitet voranzubringen. Bisher ist für diesen Bereich unserer Software neben Lars selbst unser Werkstudent Hussein Al Hassan zuständig, der nach seinem Studium der Medizintechnik nun seine Masterarbeit im Fach Informationstechnik schreibt. Zudem möchten wir noch in diesem Jahr erste Krankenhäuser mit Myscribe versorgen und somit Ärzt*innen die Möglichkeit geben ihre wertvolle Zeit effizienter zu verwenden, ganz im Sinne unseres Leitsatzes: Focus on the important points!

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